Vor anderthalb Jahren bin ich von einer Feldforschung zurückgekehrt
und wurde vom Institut für Ethnologie, Tübingen eingeladen,
von meinen Feldforschungserfahrungen und ersten Ergebnissen zu berichten.
Für diese Einladung möchte ich mich erst einmal herzlich
bedanken, denn solche Anlässe sind wichtig für eine Doktorandin.
Im Folgenden werde ich chronologisch auf die verschiedenen Phasen meiner
Feldforschung eingehen, wobei ich den Hauptaugenmerk auf die Anwesenheit im
Feld selbst und die dort angewendete Methode lege. Mein besonderes Interesse
gilt hierbei den Medien und Datentypen, die einem auf der Feldforschung begegnen.
1. Begriffsklärung: Feldforschung
-> Annekdote
Als Deutscher Wissenschaftler beginnt man eigentlich mit einer
Begriffsklärung aber erst mal eine Anekdote:
Als Studienanfänger belegte ich gleich zu Anfang ein Seminar bei einem
Psychologen. Der Mann, dessen Namen hier nichts zur Sache tut,fragte uns einschüchternd,
wer sich denn allen Ernstes vorstellen könne, eine Feldforschung zu machen.
Ich erinnere mich, daß ich mich immerhin traute, den Arm zu heben.
Mein ganzes Studium hindurch war ich mir sicher, eine Feldforschung machen
zu wollen, ich war so gesehen "wild auf die Wilden".
-> Begriff der Feldforschung
Der Begriff "Feldforschung" wurde durch einen der wichtigsten Ahnen unseres Stammes,
Bronislaw Malinowski, geprägt.Malinowski übertrug ihn aus der Domäne der Physik,
wo unter "Feld" ein Versuchsfeld gemeint war: ein begrenzter Untersuchungsraum inklusive der einzelnen
Elemente in ihm, die wiederum zueinander in Beziehung stehen.
In der Ethnologie versteht man unter "Feld" traditionellerweise eine überschaubare soziale
Einheit, wie etwa ein Dorf oder ein Stamm.
Ein weiteres Merkmal der klassischen Feldforschung ist die Tatsache, daß vom Forscher
ein Aufenthalt von mindestens einem Jahr in der Fremde erwartet wird,
damit dieser einen gesamten Jahreszeitenzyklus
erlebt.
Methodologisch steht die "Teilnehmende Beobachtung iIm Zentrum. Das Leben in der Fremde
mit den Fremden,welches eine intensive Konfrontation mit dem Fremden,
das ihm Ausgesetztsein, zur Folge hat.
=> Veränderungen unserer Sicht
Am Ende steht eine Veränderungen unserer Sicht auf die einstmals fremde andere Kultur
und - nach der Rückkehr - auch auf die eigene.
Diese Hin-und-Herbewegung ist das Kernstück der ethnologischen Tuns.
Was die Ethnologen dabei von den meisten anderen Fremderfahrenden unterscheidet,
ist das Bestreben,diese Erfahrung zu dokumentiere und im Rahmen des eigenen Faches einer
Analyse zu unterwerfen.
-> Medien in der Feldforschung
Obwohl bei der Dokumentation durchaus verschiedenen Medien
eingesetzt werden, dominiert in der Darstellung innerhalb unseres Faches weitgehend das Schriftliche.
Wie Oppitz anmerkt (Oppitz 1989) war das historisch durchaus nicht immer so wa:
In frühen Berichten über fremde Welten standen Bilder und Text durchaus
gleichberechtig nebeneindander und das obwohl die Reproduktion von Bildern damals
technisch ungleich aufwendiger war.
2. Region meiner Feldforschung:
Meine Feldforschung habe ich im
westlichen
Orinokodelta in Nord-Ost Venezuela durchgefürt.
Die ethnische Gruppe zu der die Bewohner "meines" Dorfes gehörten, die Warao,
sind eine der am besten erforschten Gruppen in Venezuela.
Ethnologen (und katholische Missionare) waren allerdings bisher hauptsiächlich in der Kernregion
des traditionellen Siedlungsgebietes der Warao, dem zentralen oder bajo Delta tätig.
Die, wenn man so will, dort angestammten Ethnologen sind Dieter Heinen und Johannes Wilbert.
Der Sohn des Letzteren, Werner Wilbert, hat ebenfalls in diesem Gebiet gearbeitet.
Sie forschen über einen nunmehr sehr langen Zeitraum hinweg, etwa 30 Jahre, im zentralen Delta.
Heinen weitete in letzter Zeit sein Interessengebiet allerdings auch in die Randbezirke hin aus.
=> Verwandtschaftsstrukturen unter den Forschern
Auch als Forscher landet man nicht zufällig in "seinem" Feld.Man ist vielmehr Teil einer,
in diesem Falle deutschstämmigen intellektuellen Verwandtschaftsgruppe, denn sowohl Heinen
als auch Wilbert wanderten aus Deutschland aus. Heinen über die USA nach Venezuela
und Wilbert in die USA.
3.Bilder, die das "Dort" repräsentieren sollen
Die folgenden Bilder sollen als erster Eindruck und als stichwortartige visuelle Erwähnung einiger Kultureller Bereiche dienen.
-> Landschaft:
Es ist schön dort, abends und ...
-> mehr kitschige Bilder
- auch tagsüber:
-> mehr zur Morichepalme
Am Ufer Morichepalmen der wichtigste traditionelle Nahrungs- und Rohstofflieferant.
-> In der Landschaft die Menschen
-> mehr Bilder von Leuten
Mein Nennonkel mit Enkelkind und Tochter vor halbfertigen Schnitzereien
Im Hintergrund das nördliche Ende des Dorfes, der befestigte Weg.
Man sieht Steinhäuser, die sich in Wakajara (sprich: Wakahara) mit traditionellen Palmhäusern mischen.
-> Subsistenz:
Jagen (vor allem Fischen), Sammeln und Brandrodungsfeldbau
sind nur einige der heutigen Subsistenzstrategien ...
-> mehr zum Brandrodungsbau
Der Ausflug zu einem weiter entfernten Bananenfeld in einer Gegend,
wo diese Pflanzen besser wachsen zeigt die Notwendigkeit des Motors
wie auch im (seltenen) Falle des Verkaufs von Überschuß:
Sammeln: Krebse richtung Flußmündung, Mangrovenwald
-> mehr Bilder von Krebsen
.. für eher symbolische Löhne wird Holz geschlagen
oder es werden Palmherzen an mehrere örtliche Palmherzfabriken
verkauft.
.. in jüngster Zeit sind die Branchen:
Tourismus (Verkauf von Kunsthandwerk, Motorist)
und Ölförderung hinzu gekommen.
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Touristen auf dem Weg in die
"unberührte" Natur des Deltas
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Schnitzen von Tieren aus Balsaholz
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-> mehr Tiere und Pflanzen
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Ein Mann, der sein Leben lang auf dem Fluß Zuhause ist,
folgt den Sicherheitsvorschriften der Ölfirma, die ihn zur Gewährleistung
der Sicherheit auf dem Fluß angestellt hat.
-> Soziales Leben
-> mehr Verteilungsbilder
Politik auf Haushaltsebene wird daran deutlich, wer zusammen ißt.
1. Initiierung und Vorlaufzeit: Themenwahl und Mittelbeantragung
Mein Aufenthalt und das Thema meines Antrags waren von Herrn Heinen angeregt worden,
der als mein offizieller Tutor die Forschung vor Ort betreute. Sein Interesse,
Vergleichsdaten zu bestimmten kulturellen Gebieten (vor allem zur Verwandtschaft,
Wirtschaft und Sprache) zu erhalten beeinflußte meine Themenwahl:
Ich wählte eine ethnolinguistische Ausrichtung bei meiner Antragstellung an den
DAAD und versuchte so, einen Kompromiß zwischen meinen eignen Interessen und denen nationaler
Forscher zu finden.
Vor der Antragstellung:
Doch bevor ich noch den Antrag stellte, reiste ich für 5 Wochen
vom 4. August - 10. September 1997 nach Venezuela, wo ich zuerst auf
Anraten Heinens einen Kongresses in Ciudad Bolivar besuchte, an den sich
ein kurzer Besuch in das zentrale Delta anschloß.
Meiner Antragstellung wurde nicht nur durch die über Heinen
gewährleistete Anbindung an die Forschungsinstitution IVIC der Rücken gestärkt,
sondern eine Ölfirma, mit der Heinen zusammenarbeitete, versprach technische
Unterstützung.(Wie sich herausstellte, eine nicht ganz unkomplizierte Übereinkunft.)
Warum DAAD?
Sicher ist die Frage berechtigt, warum ich den DAAD wählte
und nicht eine andere stipendiengebende Organisation. Am meisten gefiehl mir
die Flexibilität des Ein- Jahresstipendiums.
Wie bei anderen Organismen, bestand die Notwendigkeit einen Zwischenbericht
und einen Abschlußbericht zu schreiben, eine Forderung,
die mir half, schon im Feld über die weitere Strukturierung der Forschung nachzudenken.
Allerdings war das DAAD Stipendium keine auf eine ethnologische Feldforschung
zugeschnittene Sache. So mußten sich meine Geldgeber beispielsweise immer wieder über
meine schlechte Erreichbarkeit wundern (ebenso erging es der Ölfirma).
Man war allerdings höchst zuvorkommend und interessiert von Seiten des DAAD.
=> Es kann durchaus von Vorteil sein, ein "Exot" innerhalb einer geldgebenden
Institution zu sein.Eine Rolle die man als Ethnologe häufiger spielt.
2. Vorbereitungen und Abreise
Trotz aller Vorbereitungen blieb die Unternehmung eine Reise ins Ungewisse. Ich hatte kaum
Zeit und geeignetes Material gehabt, um die Sprache zu lernen. Allerdings wollte ich meine
"Unvoreingenommenheit" dazu nutzen, meinen Spracherwerb zu dokumentieren.
Dazu legte ich ein spezielles Medium an: Karteikarte (siehe weiter unten ).
- Emotionen:
Geht man davon aus, daß persönliche Faktoren die Forschung beeinflussen,
so sind auch Emotionen des Forschers bedeutsam. Dazu ein Beispiel aus meiner Forschung,
das zeigt wie die Haltung Fremden gegenüber von Bekanntem beeinflußt wird:
Als kurz vor der Abreise meine Oma stirbt und im Flugzeug der Platz neben
mir leer bleibt, habe ich das Gefühl, daß sie mich quasi als Schutzgeist begleitet.
Interessanterweise empfinde ich die Frau, die mich in meine Gastfamilie integriert als meiner Oma ähnlich.
1. Zusammenarbeit
Vor Ort sollte wie erwähnt eine Zusammenarbeit mit einer vor Ort operierenden Ölfirma
stattfinden. Zwei Angehörige des IVIC sollten ebenfalls im Gebiet forschen.
Beides stellte sich als äußerst bereichend allerdings zeitweise auch
als frustrierend dar.
Leicht kann die Beziehungen zwischen den einzelnen Akteuren in einem solchen
von den Einzelnen unterschiedlich definierten Feld mehr Aufmerksamkeit beanspruchen
als die eigendlichen Aufgabe, denen man sich in der fremden Kultur verschrieben hatte.
Tatsächlich war ich als von außen kommend gegenüber einheimischen
Angehörigen größerer Organisationen in einer strukturell schwachen
Position. Dies hatte Manipulationsversuchen zur Folgen,
denen ich nervlich nicht immer gewachsen war.
Als Vorteil möchte ich allerdings vor allem die 3 Vorträge werten,
die ich für Ölfirma und IVIC erarbeitete und die mich zwangen,
erste Analysen zu konkretisieren. Abgesehen davon, erfuhr ich mehr über bestimmte
Aspekte der nationaler Wirtschaft und Politik.
2. Anlaufzeit:
2.1 Wahl des Feldforschungsortes
Die Spannungen in der Zusammenarbeit mit der Ölfirma, Delta Centro,wurden
druch die persönlichen und fachlichen Qualitäten meiner Hauptkontaktperson,
des Sozialbeauftragte der Ölfirma aufgewogen.
Herr Weibezah, half mir enorm bei der Suche nach einer Gemeinde, in der ich meine Feldforschung
durchführen konnte. Er bot mir die Möglichkeit verschiedene Orte zu vergleichen,
da er mich zu verschiedenen Orten (zu manchen mehrmals) mitnahm und seine Informationen mit mir teilte.
Diese Hilfestellung war um so wichtiger, als Heinen, erst einige Wochen nach mir ankam.
Obwohl er sich vergleichsweise seltener in diesem Teil des Deltas betätigt hatte,
kannte er auch hier Leute unter den Warao. Ein regionalpolitisch sehr umtriebiger, Mann
aus Wakajara schlug vor, ich solle doch seinem Steinhaus im Dorf einziehen.
Er ging sicher davon aus, daß ein solcher Ort für eine Nichtindianerin geeignet sei.
Ich fragte mich meinerseits über seine Motive. Da er selbest einen Großteil seiner Kindheit
und Jugend bei Criollos verbrachte, nahm er eine klassische Mittlerposition ein. Auch hoffte er
vielleicht, durch das Herstellen einer Verbindung über mich zur Ölfirma auf Arbeit bei
dieser. Tatsächlich war er der einziger Warao, der zeitweilig einen festen Posten bekleidete.
- Das Dorf selbst.
Allgemein machen Warao Fremdem gegenüber einen sehr offen Eindruck.Der Ort, in den ich ziehen sollte,
"Wakajara de La Horqueta" wurde mir von einem Mitarbeiter Heinens, der die Criollo in La Horqueta
beforschte als besonders freundlich und umtriebig nahe gelegt.
Während meines Aufenthaltes gewann ich den Eindruck, daß man sich in Wakajara in Wechselwirkung
mit der venezolanischen National- oder Criollo-Kultur selbst als unter modernisierungsdefizit leidend stilisiert.
Man strebt meiner Meinung nach ein ein Ideal an,welches sich als "Moderne Warao" charakterisieren ließe.
Ein Ideal, das es einerseits erlaubt, Warao zu bleiben, anderseits den Vorwürfen des unwissenden,
schmutzigen und rückständigen "indios" entgegenarbeitet.
2.2 Die Anfangszeit
Von zu Hause brachte ich nützliche Hinweise meiner Zunft mit, wie ich mich anfänglich verhalten solle:
möglichst neutral auch in Wahl des Wohnortes sollte ich sein.
Als neutraler Ort komme etwa ein Gemeindehaus in Frage.
Allgemein solle ich mich anfänglich eher kühl, wenn auch freundlich zeigen
und auf der Hut sein, mich nicht zu früh von bestimmten Gruppen instrumentalisieren zu lassen.
Kurz gesagt, ich sollte als dritte unabhängige Macht aufzutreten
Ich versuchte daher, persönliche Beziehungen zu unterschiedlichen Strängen oder
Verwandtschaftsgruppen aufbauen und mich nicht nur auf die engere Familie meines Einlanders zu beschränken.
Natürlich hatte ich mich zunächst eher den Eindruck, den Fremden ausgesetzt zu sein,
als daß ich mich in einer unabhängigen Machtposition gefühlt hätte.
Meine Unfähigkeit Warao zu sprechen schränkte meine Handlungsfähigkeit enorm ein.
Doch war ich stur, in Spanisch wollte ich nicht reden. Hierfür kamen
sowieso fast nur Männer in frage, die Frauen waren wenig erpicht darauf,
Spanisch zu sprechen. Ich meinte so leichter auch Zugang zum Frauenbereich zu
finden, von dem ich aus Claudia Kalkas Buch wußte, daß er was die Familienpolitik anging
mindestens so wichtig war wie der männliche.
Auf nichtsprachliche Beobachtungen zurückgeworfen, nahm ich allerdings
in dieser ersten Zeit auch Dinge war, die mir später nicht mehr auffallen
sollten. Denn vieles anfänglich ins Auge springende wird mit der Zeit vom
Nebel des alltägliche verhüllt. Gerade die Anfangszeit liefert damit eine Art von Daten,
die später so nicht mehr zugänglich sind. Man sollte diesen Zeitraum daher sehr breit
und detailreich dokumentieren. Zu einer Zeit, da man noch nicht weiß, ob es sich bei den
beobachteten Phänomenen um Ausnahmen oder Schlüsselsituationen handelt,
um alltägliche oder singuläre Vorkommnisse. Regel und Ausnahme sind noch
nicht von einander getrennt.
2.3 Bilder zur Ethnologin
- meine Vorgänger in Sachen "Fremde" bei den Warao:
v.l.n.r.Heinen, eine Nonne, ein katholischer Missionar
-Mutter des Mannes,der mich eingeladen hatte:
fiktive Tante vä:terlicherseits (dakatai)
und wichtigste Integrationshelferin
- Foto auf Wunsch der Leute:
eine Weiße ohne Schuhe auf dem Boden
und mit den Händen essend
- vertauschte Rollen:
-> mehr Bilder von der Ethnologin
ausnahmsweise "arbeitet" die Ethnologin
und die anderen schauen zu.
2.4 Hineinfinden in die Gesellschaft
Mein Hineinfinden in eine soziale Rolle innerhalb des Dorfes kann als Übergang
von der Fremden (kiri'tiana) zum Quasi-Familienmitglied ("iji warao")
beschrieben werden. Der Ausdruck "kiri'tiana" leitet sich vom
spanischen "cristiano" (Christ) ab. "iji warao, dijana"
(du bist jetzt schon Warao) war eine häufige halbhumoristische Bemerkung,
die man immer dann anbrachte, wenn ich etwas besonders waraotypisches
beziehungsweise etwas für Nichtindianer untypisches tat:
mit dem Einbaum fahren
mit den Händen essen
und vor allem in der Waraosprache sprechen
und barfuß laufen.
Meist gab der Besuch auswärtiger Verwandter oder nichtindianischer
Venezolaner Anlaß zu solchen Kommentaren.
-> Anfangszeit
In der Anfangszeit der ersten Monate war ich ein ausländischer Gast,
der potentiell Zugang zu wichtigen Ressourcen materieller wie ideeller Art (Macht, Prestige)
versprach oder einfach nur Hoffnung auf etwas Unterhaltung entstehen ließ.
Etwas einsam und unsicher, unter der ständigen Beobachtung neugieriger
Kinderblicke lebte ich im Steinhaus meines Gastgebers. Wie eine Criolla kochte
mein eigenes Essen nicht auf Art der Warao.
Hierzu ein Zitat aus meinem Tagebuch:
"-> Meine Stimmung ist etwas gedrückt, mir geht es auf die
Nerven, von den Kindern überall hin verfolgt zu werden und angeglotzt zu
werden, egal was ich tue. Aber ich muß wohl Geduld haben,
schließlich war es mein Wille , hier zu sein. " [1/T II-19]
Offensichtlich störte mich das fehlen einer Privatsphäre,
an die man als Deutsche gewohnt ist.
Ich plauderte mit meinen Nachbarn so gut es ging und begab mich
regelmäßig auf Spaziergänge durch das Dorf, um Kontakte zu
knüpfen. Meine einzige fest strukturierte soziale Aktivität war der Tausch von
gekauften Nahrungsmittel gegen solche aus der Eigenproduktion der Dorfbewohner,
der anfangs nicht sehr einträglich für die Gegenseite war.
Dieser Tausch beschränkte sich weitgehend auf die Mutter meines
Gastgebers und deren Schwester.
->Annäherungsphase
In der Annäherungsphase ab dem zweiten Monat besuchte ich
meine unmittelbaren Nachbarn und meine Tauschpartnerin häufiger. Auch
begleitete ich eine Gruppe junger Männer und einiger Mädchen zu den
Warao-Sportspielen in Tucupita, wo ich in fremder Umgebung zum ersten Mal eine
größere Zugehörigkeit verspürte und meinen Kontakt zu den
jungen Männern ausbauen konnte. Wärend der Spiele übernahm ich die
Rolle eines Berichterstatters und bot den Daheimgebliebenen durch meine Photo,
Anschauungsmaterial. Die dokumentierende Funktion der Fotos wurde damit uns
allen deutlich vor Augen geführt.
-> Eingliederung
Als mein Gastgeber, der Hausbesitzer, nach etwa vier Monaten selbst mit einer jungen
Criollo-Frau in das Haus einzog, räumt ich zunächst mein Zimmer und logierte im Vorraum.
Später äußerte ich dann den Wunsch, in eines der Häuser der
Familiengruppe, meines Gastgebers, der seine Mutter als älteste Frau vorstand,
umzuziehen.Da ein Haus leer stand und temporäre Gäste nichts ungewöhnliches sind,
willigte man ein.
Meine Beobachtungen wurden nun um ein Vieles intensiver: Ich verbrachte den
ganzen Tag in Gesellschaft von Mitgliedern meiner Gastfamilie und begann sie
überall hin zu begleiten unter anderem auch auf Ausflüge in die
nähre und weiter Umgebung des Deltas.
Jeden Freitag fuhr ich mit
Männern der Gruppe, bisweilen von einigen Frauen begleitet, nach Tucupita
um Nahrungsmittel zu kaufe. Tendenziell versuchte ich, mich nicht nur auf ein
paar Personen zu konzentrieren, sondern zu allen einen engeren Kontakt
aufzubauen. Meine Beziehung zu Dorfbewohnern außerhalb der
Familiengruppe hielt ich weiterhin aufrecht auch wenn ich damit bisweilen die
Grenzen gruppeninterne Beziehungsgeflechte überschritt.
-> Endphase
In der Endphase war ich weitgehend in die Familie meiner Nenntante
und damit in das Dorf integriert:
Dies fand vor allem in der Verwendung fiktiven Verwandschaftstermini seinen
Ausdruck, mit denen ich alle Dörfler ansprach. Diese leiteten sich
von meiner ersten Tauschpartnerin, meiner Nenntante, ab. Sie fungierte als
Tante väterlicherseits (dakatai).
Manchmal schienen wir alle die Grenzen zwischen (auch scherzhafter) Fiktion
und ernster Realität nicht genau bestimmen zu können. Es war allen
Beteiligten prinzipiell gegenwärtig, daß ich, ein Gast aus einem
fernen Land, kein normales Familienmitglied war. Doch hatte sich die Grenze
vom fremden Gast hin zum verwandten Gast zu verschieben begonnen und sollten beim
Quasifamilienmitglied endete.
Hatte man mich anfangs beispielsweise ausweichend von bestimmten
Informationen, die eine Fremde nichts angingen (etwa dem Grund eines Streits)
ausgeschlossen, so erklärte man mir gegen Ende meines Aufenthaltes
bereitwillig alles,da es nur natürlich erschien, daß ich mich dafür genauso
interessierte wie die übrigen Mitglieder der Familiengruppe. Als der Tag
meines Abschieds nahte, wurde mir bewußt, wie sehr ich meine Umgebung
als eine Art zweite Familie zu akzeptieren begonnen hatte.
hierzu noch ein Zitat aus meinem Tagebuch
-> Mein letzter Tag in Wakajara (vorgestern). (...)
- Lora war weggegangen (kube jobikitane) bei [1/T VI-188] Caraolinas
Mutter am anderen Ende des Dorfes (akariata). Ich interpretierte es so,
daß sie sich den Abschied ersparen wollte, denn sie setzte mich davon in
Kenntnis, daß sie jetzt gehe. Da ich um 13:00 Uhr immer noch da war,
traf sie mich noch an. In den letzten Tagen ist sie immer ein bißchen
krank gewesen.(...). Ich war eigentlich guter Dinge, wollte aber los. Als ich
dann in Pallazos Boot stieg, spürte ich einen starken Druck auf der Brust
und die Zurückgebliebenen winkten mir in einem Akt kulturellen
Kompromisses zu. (...)[1/T VI-189] ((man winkt eigentlich nicht)
=> Die anderen sind auch emotional betroffen
- Analyse
Der geschilderte Prozeß ist nicht nur Reflexion über meine Rolle gedacht.
verät doch die Tatsache, wie man mit mir als Fremde umging, wie man mich integrierte
und sich abgrenzen etwas über Identität der Gruppe:
Für die Warao schien es nicht undenkbar, daß jemand die
kulturelle Identität wechselt. Hierbe sind Essens- und Lebensgewohnheiten
neben der Beherrschung der Sprache starke Eckpunkte der Identitätszuweisung.
Über einen Warao, der schon lange in La Horqueta unter Criollos gelebt hatte,
sagte man beispielsweise, er sei zu eine Criollo geworden: kiri'tiana eku nakae
(wörtlich: "in die Criollos hinein gefallen"). Wohingegen man umgekehrt auch
Beispiele nennen konnte, in denen Criollos zur Waraolebensweise übergewechselt waren.
Solche Leute bezeichnete man dann auch als Warao.
Mich forderte man mehrmals scherzhaft auf, doch im Dorf zu heiraten.
Die Fähigkeit eine Sprache zu sprechen wird als fast genetisch
betrachtet: So fragte mich eine mir völlig fremde alte Waraofrau aus dem
zentralen Delta, die ich auf Warao angesprochen hatte, ob meine Mutter Warao sei.
-> siehe auch meine Webseite "Bilder von den Warao"
-> junge Kinder:
-> Kinder:
(sie sind so frech, wie sie aussehen)
- Junges Paar:
- älteres Paar:
4. Methode
Ein weiteres Zitat aus meinem Tagebuch:
"Bibel nach Dammann:
Gehe hin in produktiver Unsicherheit!
Sei naiv! [fällt meist nicht schwer]
Frage dich: Wie ist mein Forschungsgegenstand beschaffen?
Welche Erkenntnisperspektive ist ihm angemessen?
" (9.04.98 Matu: T I-42)
4.1 Tagesroutine und Dokumentation
Nach anfänglicher Unsicherheit und Kampf mit den Widrigkeiten der
sozialen und weiteren Umwelt, fand ich langsam in meine Rolle als
Feldforscherin und quasi Familienmitglied hinein und entwickelte eine
tägliche feldforschungsroutine.
Hierbei benutzte ich verschiedene Medien:
Fotoapparat
Notizblock
MD-Recorder
Täglich morgens führte ich Tagebuch
Das Schreiben als der dortigen Kultur weitgehend fremde Technik wirkte entfremdend
innerhalb der trügerischen Illusion in der Gemeinschaft der anderen unter zu gehen.
Gleichzeitig war diese Tätigkeit identitätsstiftend für meine Arbeit als Ethnologe.
Aus der Sicht der Dorfbewohner, die schreiben als reines Abschreiben lernen,
in einer Schule, in der auf Spanisch unterrichtet wird, blieb meine Art zu schreiben
trotz Erklärungen meinerseits wohl undurchsichtig.Deshalb kam ich mir bisweilen
wie ein Spion vor.
- Interessenschwerpunkte
Meine Interessenschwerpunkte lagen zum Teil von vornherein fest, orientierten sich an den
Interessen meiner Kollegen vor Ort oder kristallisierten sich in der Feldforschungspraxis
heraus.
Prinzipiell interessierten mich alle Bereichen der Kultur. Da während meines Aufenthaltes
sowohl regionale als auch landesweite Wahlen (-> Bilder von den Wahlen)
stattfanden, rückte unter anderem die Politik ins Zentrum meines Interesses.
Um dieses Thema herum lassen sich die Bereiche:
Identität
Verwandtschaft
Sozialstruktur
Wirtschaftsweise
Arbeitsorganisation
so wie ich sie wärend meiner Feldforschung kennen lernte, anordnen.
4.2 Informanten, Bezahlung und Arbeitsrhytmus
Bei meiner Arbeit mußte ich mich nach dem Arbeitsrhytmus der Leute,
auf deren Mitarbeit ich angewießen war richten.
Die Dorfbewohner halten sich mit einer sehr flexiblen Wirtschaftsweise
gemischt aus Jagen, Fischen, Sammeln, Feldbau,Verkauf von Überschuß
sowie Lohnarbeit und Verkauf von Kunsthandwerk über Wasser.
Erledigt wird hiebei das, was im Moment am wichtigsten und notwendig ist.
So schnell wie es die äußeren Umstände erlauben.
Ist man bei der Arbeit auf dem Feld beispielsweise müde, durstig oder hungrig geworden,
versucht man keine Selbstdisziplinierung im calvinistischen Sinne oder oder Selbstausbeutung
im marxistischen Sinne.
Eine Situation war in dieser Hinsicht besonders erhellend für mich:
Nach dem wir den ganzen Tag über in sengender Hitze ein brandgerodetes Feld
bepflanzt hatten, waren nur noch wenige Setzlinge übrig geblieben.Vor dem Hintergrund
meiner eigenen Mentalität erwartete ich, daß man die restliche paar Setzlinge
auch noch pflanzen würde, bevor man heim fuhr.
Zu meiner Überaschung ließ man diese jedoch liegen und kehrte erst zwei Tage später
zurück, um die Arbeit zu beenden.
Wollte ich also Hilfe bei speziellen Aufgaben, wie etwa der Transkription von Tonaufnahmen rekrutieren,
so mußte ich den Leuten die Wichtigkeit, dessen, was ich zu tun gedachte vermitteln.
Als Beispiel möchte ich die Tatsache erwähnene, daß ich erst gegen Ende
meines Aufenthaltes Erfolg mit dem Transkribieren hatte: Als die Zeit knapp und wurde und ich
daher die Notwendigkeit zu handeln vermitteln konnte, fanden wahre Transkriptionsorgien statt.
Sich zu verabreden war vor diesem allerdings Hintergrund so gut wie zwecklos.
Im Grunde hatte ich keine Hauptinformanten und versuchte auch in dieser Hinsicht
zu möglichst vielen Leuten Kontakt zu halten. Denn abgesehen davon, daß immer
irgendjemand Zeit hatte, wenn auch nicht umbedingt eine bestimmte Person, hat jeder
andere Vorteile als Informant.
Auch das Thema der Bezahlung beschäftigte mich. Am Anfang hatte ich statt direkter Bezahlung
etwa für die Beherrbergung getauscht.Als ich einmal mit der Familie zusammen wohnte,
leistete ich einen regelmäßigen Beitrag zur Haushaltung, indem ich Mehl, Reis, Zucker
und kleine Geschenke aus der Stadt mitbrachte. Seltener half ich direkt bei der Arbeit auf dem Feld
oder beim Fischen mit.(Um nicht rein materialistisch zu rechnen, sollte man vielleicht auch meinen ideellen
Wert als Mittlerin, und Freundin mit Unterhaltungswert erwähnen.)
Als ich zu einem späteren Zeitpunkt versuchte, meinen Helfern Bezahlung anzubieten
bekam ich nur ausweichende Antworten. Anscheinend fühlten wir uns gegenseitig in einem
verwandtschaftsähnlichen System von Tauschbeziehungen eingebunden, innerhalb dessen
solche Lohnverhältnis sich nicht mehr ohne weiteres integrieren ließen.
4.3 Datentypen und Medien: (mit Beispielen)
(-Notizbuch)
- Tagebuch
- Zeichnung
(- Aufnahmen)
- Vokabelkarten
- Fotos: (vergleiche die Aufnahmen in diesem Dokument und auf den von dort her zu erreichenden Seiten)
Im Zentrum meiner Forschung standen zunächst Tagebuch und Notizblock
also schriftliche Medien, die allenfalls durch einige Zeichnungen ergänzt wurden.
Hierbei enthält das Tagebuch eine Vielzahl von Datentypen:
Interview
Befragungsantworten
Beobachtungen
spontane Äußerungen
persönliche Überlegungen
Träume
Emotionen
aber auch vorläufigen Analysen und Thesen.
Die gesammelten Daten unterscheiden sich nicht nur hinsichtlich des
Mediums, mit dem sie aufgezeichnet wurden, sondern auch hinsichtlich ihrer
Analysiertheit, Verdautheit und Bewußtheit.
Gegenüber dem Photographieren und Aufnehmen hatte ich erst eine gewisse
Scheu zu überwinden, vor allem was die Tonaufnahmen betraf,
waren die Leute im Dorf um einiges entspannter als ich.
Bei der Wahl des Aufzeichnungsmediums spielte aber nicht nur meine
persönlichen Präferenzen eine Rolle, sondern die zu dokumentierenden
Themem und Objekt selbst (Hier wiederholt sich auf anderer Ebene Damanns Lehrsatz:
Sich vom Untersuchungsobjekt leiten lassen.)
Als Beispiel mag die Beobachtung dienen, daß Fotos manchmal vorteilhaft sind,
etwa um die Gleichzeitigkeit oder "Choreographie" von Handlung festzuhalten,
Zeichnungen hingegen Details besser sichtbar machen können. Natürlich setzt auch
das technische Material Grenzen. Komplexe Handlungsabläufe hätte ich gerne auf Video
aufgezeichnet, um sie im Nachhinein in Ruhe mit den Akteuren besprechen zu können,
jedoch stand mir ein solches Gerät nicht zur Verfügung.
Sicher hätte ich auch weniger meine bisweilen unlänglichen Zeichenkünste bemüht,
wenn ich eine Kamara mit Makro-Objektiv besessen hätte.
Was Tonaufzeichnungen betrifft, so geben sie das dialogische einer Feldforschung
am eindrücklichsten wieder und halten paralelle Äußerungen fest,
die man in der Situation selbst nicht simultan erfassen könnte.
Nach der Rückehr dienen Aufzeichnungen jeglicher Art als Erinnerungshilfe,
erlauben nemotechnisch den Zugriff auf weiter bestehende Erinnerungen.
Auch hier funktionieren Photos und Tonaufnahmen anders als schriftliche Aufzeichnungen.
Die jeweilige Gesellschaft setzt ebenfalls ihre Präferenzen, die
Tatsache, daß mir der Umgang mit dem Photoapparat viel schneller
selbstverständlich wurde als der mit dem Aufnahmegerät, scheint mir
in dieser Hinsicht nicht zufällig.Zum einen sind Tonaufnahmen sehr arbeitsintensiv
für Ethnologe und Mitarbeiter. Zudem ist das Unterfangen der Transkription schwer verständlich.
Warum soll man Dinge wörtlich wiederholen, die der Forscher doch so klar selbst hören kann?
In dieser Hinsicht waren die Bilder und ihre Intention greifbarer und zugänglich für alle.
Man konnte sie vor Ort (in Tucupita) vervielfältigen, gemeinsam betrachten und verschenken.
Die Kamera wurde so für mich zu einem ungeahnt wichtigen Erkenntniswerkzeug.
Indem ich alle Aufnahme vor Ort entwickeln ließ und sie dann den Photographierten zeigte,
setzte sich ein gegenseitigen Lernprozeß in Gang:
Mir ebenso wie den Anderen wurde mein Dokumentationsanliegen vor Augen geführt
und die Photos wurden mit wachsendem gegenseitingen Verständnis aussagekräftiger.
Anhand des Umgangs mit der Photographie gelang es mir so, Aspekte ethnologischen Arbeitens zu konkretisieren,
die mit schriftlichen Medien für mich und meine Gastgeber abstrakt geblieben wären.
Anhand des gegenseitigen Lernens wurde mir das dialogische, die Wichtigkeit
von Zusammenarbeit besonders bewußt!
Als Beispiel sollen die folgenden Photographien dienen:
eine Hausdachphotographie, die ich alleine gar nicht hätte aufnehmen können und
eine Aufnahme, die das Detail des Spaltens einer Liane zeigt, mit der die Blätter auf dem
Dachgerüst festgebunden werden.
Letzteres ist in dem Sinne estellt als ich den Ausführenden bar, die Aktion langsam
auszu&führen, damit ich sie aufnehmen könne. Sie ist, um es mit einer
Entlehnung von Geertz zu sagen, "dichter" (aussagekräftiger).
Denn anders als eine verschämte Aufnahme aus dem Hintergrund zeigt sie genau das,
was ich damals einfangen wollte, sie ist in dieser Hinsicht sogar "authentischer"
als eine ungestellte es unter Umständen wäre.
dieses Photo machte mein Schwager, der das Dach deckte selbst,
nachdem ich ihm die Handhabung der Kamera erklärt hatte.
Ich hätte selbst nicht auf das Dach steigen können.
Das Spalten der Liane ini als Beispiel für
Detailphotographie und Zusammenarbeit.
Auch das Prinzip der Pendelbewegung zwischen dem Gewohnt-Werden einer
fremde Kultur einerseits und dem Einsetzten eines verfremdenden Blickes auf
die eigene Kultur andererseits materialisierte sich am ehesten in den Photos:
Als ich meinen Aufenthalt in Venezuela für zwei Wochen unterbrach und
nach Deutschland fuhr, brachte ich eigens hierfür gemachte Aufnahmen aus
meiner Heimat mit, die ich den Dorfbewohnern zeigte.
Es war interessant zu beobachten, welche Bilder sie besonders interessierten.
5. Rolle der Medien
Zitat von David Mac Dougall in Oppitz 1989:
"Die Anthropologie muß Formen des Verstehens zulassen, welche
die des geschriebenen Wortes ersetzen. Der Film muß Ausdrucksformen
schaffen, die das anthropologische Denken refelktieren."
In meiner Doktorarbeit will ich mir nicht nur zu der Rolle der Medien bei der
Dokumentation sondern auch über ihre Rolle bei Analyse und Darstellung
klar werden.
Grenzen und Eigenschaften der einzelnen Medien wurden mir während des Aufenthaltes
bewußter. In einer Wechselwirkungen übertrug ich Nutzungsmöglichkeiten
von einem Medium auf das andere. So inspirierte mich die Tatsache, daß bei Filmen
sogenannte "Atmos" (Umgebungsgeräusche) aufgenommen werden, bildlich und
tonliche Gesamteindrücke aufzuzeichnen.
Vor allem die Reflexion im Tagebuch erscheint mir im Nachhinein
unabdingbar, um die Entwicklung meines fortschreitenden
Verständnisses nachvollziehen zu können und die im emotional anstrengenden
Feldforschungsalltag gesammelten Informationen nach der Rückkehr unter einer anderen
Perspektive betrachten zu können .
-> Analysegehalt von Bildern?
Der Dokumentationswert von Bildmaterial vor allem von Photographien ist
jedem einsichtig. Allerdings werden sie meist auf einen rein dekorativen oder
illustrativen Zweck von Einzelbeobachtungen reduziert. Aber können sie nicht auch zum Beispiel einer
Analysegehaltes Ausdruck verleihen? Vielleicht machen sie manche Analysen auch erst möglich,
sind also auch eine Analyse Instrument?
Ich denke zum einen können Photos in Reihen eine eigene Dynamik des Forschungsprozesses entfalten.
Und zum anderen können sie auf offenere Art und Weise als schriftliche Dokumente zusammenfassende
Aussagen machen.
Wenn man einen Arbeitsprozeß dokumentiert, etwa die Herstellung eines Bootes, so
versucht man gleichzeitig den Ereignis-Ablauf zu analysieren, um die prägnanten
Arbeitsschritte aufzunehmen. Man wird vielleicht mehr Fragen an die Akteure stellen und
sich eher Teil der Unternehmung fühlen und auch eher als aktiver Part von den anderen
Beteiligten betrachtet werden.
Ein einzelnes Photo kann dann einer Analyse oder zumindest einer Zusammenfassung gleichkommen.
Beispiel: ein Photo als Schlußfolgerung.: 3 Paddel 2 Boote (Folie)
- Hiermit wäre die Ebene der Darstellung angesprochen
Auf der Ebene der Darstellung scheint es mir Möglich, über eine Syntax der Bilder
nachzudenken, wie wir sie beispielsweise aus Comics kennen in denen die
Anordnung der Bilder und ihre verschiedenen Größen untereinander
ihre relative Position im Gesamtzusammenhang anzeigen.
Aber auch andere Medien oder Aufzeichnungsformen können einen solchen
Stellenwert analog zu schriftliche niedergelegten Schlußfolgerungen haben:
So kann man über der Traum als präverbale Feldforschungsnotiz und
symbolische Darstellung tieferer Zusammenhänge nachdenken. Träume als unbewußte Analysen?
Vor allem unsere eigenen Erinnerung arbeitet analytisch und organisieren bewußtes
und unbewußtes Material. Beim Vergleich mit schriftlichen Aufzeichnungen auftretende
Abweichungen können hier aussagekräftig und bedeutungsvoll sein.
Damit bin ich eigentlich schon beim dritten Teil der Feldforschung bei der
Nachbereitung, die wie erwähnt bereits im Feld begann. Mit den Zwischenberichten
und Vorträgen, die ich vor Ort an die dortige Forschungsorganisation IVIC und
die Ölfirma, wie auch an meinen Geldgeber, den DAAD verfaßte.
1. Abreise und Rückkehr in die eigene Gesellschaft
Ein Weiteres Zitat aus meinem Tagebuch soll die Stimmung der Abreise
vergegenwärtigen:
-> Mein letzter Tag in Wakajara (vorgestern).
- Insgesamt war meine Abreise unkomplizierter als meine Ankunft, da mit
weniger Unsicherheit und Ungewißheit verbunden, trotz des
mißglückten Abholens.
- Ich glaube bis jetzt nicht, wirklich aus Wakajara weg zu sein. Das werde
ich erst tun, wenn ich im Bus nach Caracas sitze. (10.03.99 Waka: T VI-188f.)
Das Einleben viel mir schwer und die in Tübingen traditionell nervenaufreibende
Wohnungssuche und Zwischenmiete standen für die Tatsache, daß ich einen Teil meines
festen Bezugspunktes in der Heimat aufgegeben hatte.
2. Nachlaufzeit:
2.1 Weitere Geldbeschaffung und institutionelle Situation
Als erstes stellte sich mir die Frage der weitere Geldbeschaffung aber auch
die der institutionellen Anbindung,
Obwohl man ,mich in Tübingen mit Sachkenntnis und Gutachten unterstützt
hatte, wurde auf längere Sicht das Auffinden eines regionalen Experten als Betreuer
notwendig.
Hier orientierte ich mich nach Marburg zu Prof. Münzel
Finanziell fand ich mein Auskommen als "Fremdarbeiter" in einem linguistischen
Sonderforschungsbereich (SfB 441, Projekt A2)
Die Einarbeitungsphase und der Versuch, meine Projektarbeit mit dem Thema meiner Magisterarbeit
zu synchronosieren, kostet mich bis heute viel Zeit.Der Vorteil der Arbeitserfahrung im Unialltag
und der Erweiterung meines Wissens, wird wohl erst in Zukunft voll zu Buche schalgen.
2.2 Überlegungen (Was wurde aus den thematischen Vorsätzen?)
- Rückblickend muß ich hinsichtlich der Erforschung sprachlicher Themen
feststellen, daß der Spracherwerb langsam voranging, da ich meine Zeit zwischen
sprachlichen und anderen ethnographischen Themen aufteilte.
Oft nahm ich an mehrere Tage dauernden Aktivitäten und Ausflügen teil, die
ich in Wort und Bild dokumentierte, ergänzt durch gezieltes Nachfragen.
Da Tonaufnahmen eine relativ gute Beherrschung der Sprache voraus setzen, es sei denn
man nimmt in Kauf Datenfriedhöfe zu produzieren, verschob sich das Sammeln solcher Daten
schwerpunktmäßig auf das Ende des Aufenthaltes.
Das lag auch daran, daß ich mich mit dem Aufnahmegerät schwerer tat als mit der Kamera
und dem Notizblock. Hatte ich anfangs Skrupel meinen Versprechungen hinsichtlich des
sprachlichen Schwerpunkts nicht nachkommen zu können, so stellte sich im
Nachhinein heraus, daß es Prof. Heinen eigentlich für noch
wichtiger hielt, Vergleichsmaterial zu kulturellen Themen zu erlangen.
Das kam meinem breiten Interesse entgegen.
Was mir weiterhin Kopfzerbrechen bereitet, ist die Form, die meine
dereinst annehmen soll. Jeder, der die jüngere Geschichte des Faches ge
kennt, weiß, daß eine traditionelle Monographie heute nicht mehr
geschrieben werden kann.
Wichtig wäre es mir, Bild- und Tonmedien stärker in den Prozeß der Analyse
und Darstellung einbeziehen zu können. Ein Unterfangen, welches durch die heutigen
technischen Möglichkeite, etwa der CD-Rom machbar sein sollte.
Ich hoffe, die hier vorgetragenen Erfahrungen und Überlegungen, ermuntern
die Zuhörerschaft, selbst eine Feldforschung zu machen. Zusammenfassend kann ich nur herausstreichen:
Es erwächst einem ein enormer persönlicher und professioneller Erfahrungsschatz.
- Wenn die Mücken einem egal werden...
Als Beispiel für die Faszination der Unternehmung, halte ich mir jene Nacht vor
Augen als auch einem unglaublich dichten Schwarm von Stechmücken nicht gelang,
meine Konzentration nicht von einem Heilungsritual abzuziehen.
Kalka , Claudia. 1995.
"Eine Tochter ist ein Haus, ein Boot und ein Garten": Frauen und
Geschlechtersymmetrie bei den Warao-Indianern Venezuelas. Münser,
Hamburg: Lit.
Dammann, Rüdiger. 1991. Die
dialogische Praxis der Feldforschung : der ethnographische Blick als Paradigma
der Erkenntnisgewinnung. Frankfurt a. M.: Campus.
Geertz, Clifford. 1987. Dichte Beschreibung : Beiträge zum Verstehen
kultureller Systeme. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Oppitz, Michael. 1989. Kunst der Genauigkeit : Wort und Bild in der
Ethnographie. München: Trickster.
VII Weiterführende Literatur
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